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Storytelling.Blog

Bettina Moser

Sinnerfüllter Neubeginn mit Punkt.Landung

Der wahre Wert des Rings
„Meister, ich bin gekommen, weil ich mich so wertlos fühle, dass ich überhaupt nichts mit mir anzufangen weiß. Man sagt, ich sei ein Nichtsnutz, was ich anstelle, mache ich falsch, ich sei ungeschickt und zu dumm. Meister, wie kann ich ein besserer Mensch werden? Was kann ich tun, damit die Leute eine höhere Meinung von mir haben?"
Ohne ihn anzusehen, sagte der Meister: „Es tut mir sehr leid, mein Junge, aber ich kann dir nicht helfen, weil ich zuerst mein eigenes Problem lösen muss. Vielleicht danach.“
Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: „Wenn du zuerst mir hilfst, könnte ich meine Sache schneller zu Ende bringen und mich im Anschluss eventuell deines Problems annehmen.“
„Sehr gerne, Meister“, stotterte der junge Mann und spürte, wie er wieder einmal zurückgesetzt und seine Bedürfnisse hintangestellt wurden.
„Also gut“, fuhr der Meister fort. Er zog einen Ring vom kleinen Finger, gab ihn dem Jungen und sagte: „Nimm das Pferd, das draußen bereitsteht und reite zum Markt. Ich muss diesen Ring verkaufen, weil ich eine Schuld zu begleichen habe. Du musst unbedingt den bestmöglichen Preis dafür erzielen und verkauf ihn auf keinen Fall für weniger als ein Goldstück. Geh und kehr so rasch wie möglich mit dem Goldstück zurück.“
Der Junge nahm den Ring und machte sich auf den Weg. Kaum auf dem Markt angekommen, pries er ihn den Händlern an, die ihn mit Interesse begutachteten, bis der Junge den verlangten Preis nannte. Da lachten einige, die anderen wandten sich gleich ab, und nur ein einziger alter Mann war höflich genug, ihm zu erklären, dass ein Goldstück viel zu wertvoll sei, um es gegen einen Ring einzutauschen. Nachdem er das Schmuckstück jedem einzelnen Marktbesucher gezeigt hatte, der seinen Weg kreuzte, stieg er, von seinem Misserfolg vollkommen niedergeschlagen, auf sein Pferd und kehrte zurück.
Wie sehr wünschte sich der Junge, ein Goldstück zu besitzen, um zu zeigen, wie erfolgreich er gewesen war.
„Meister“, sagte er, „es tut mir leid. Es ist mir nicht gelungen, jemanden über den wahren Wert des Ringes hinwegzutäuschen.“
„Was du sagst, ist sehr wichtig, mein junger Freund“, antwortete der Meister mit einem Lächeln. „Wir müssen zuerst den wahren Wert des Ringes in Erfahrung bringen. Steig wieder auf dein Pferd und reite zum Schmuckhändler. Wer könnte den Wert des Ringes besser einschätzen als er? Sag ihm, dass du den Ring verkaufen möchtest und frag ihn, wieviel er dir dafür gibt. Aber was immer er dir auch bietet, du verkaufst ihn nicht. Kehr mit dem Ring zurück.“
Und erneut machte sich der Junge auf den Weg. Der Schmuckhändler untersuchte den Ring, besah ihn und wog ihn. „Mein Junge, richte dem Meister aus, wenn er jetzt gleich verkaufen will, kann ich ihm nicht mehr als 58 Goldstücke geben.“ „58 Goldstücke?“ rief der Junge aus. „Ja“, antwortete der Schmuckhändler. „Ich weiß, dass man mit etwas Geduld sicherlich bis zu 70 Stücke dafür bekommen kann, aber wenn es ein Notverkauf ist.“
Aufgewühlt eilte der Junge in das Haus des Meisters zurück und erzählte, was geschehen war. „Setz dich“, sagte der Meister. „Du bist wie dieser Ring: ein Schmuckstück, kostbar und einzigartig. Und genau wie bei diesem Ring kann seinen wahren Wert nur ein Fachmann erkennen. Warum irrst du also durch dein Leben und erwartest, dass jeder x-Beliebige um deinen Wert weiß?“